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Bolide vom 6. April 2002 über Südbayern

Martin Birkmaier

Samstag, Neumond, klarer Himmel. Seit langem bin ich wieder mal mit Freunden beim Sternegucken. Ich beuge mich gerade über den Okulartrog, da wird es plötzlich hell. Sehr hell. Wer zum Teufel ... Meinen Fluch gegen den Verursacher dieser Lichtorgie habe ich noch nichtmal zu Ende gedacht, da erkenne ich: Die gleißend grüne Ausleuchtung des Platzes kommt flutlichtartig von oben. Ich blicke hoch und zucke zusammen. Der hält voll auf mich zu. Einen Augenblick später ist klar. Der fliegt nicht voll auf uns zu, sondern zielt etwas daneben. Eine gleißend helle, weiße Kugel, cirka Mondgröße, ähnlich der Koma des Kometen Ikeya-Zhang, nur nicht 2-dimensional an Horizont, sondern 3-dimensional in meine Richtung rasend, und viel heller als der Vollmond. Wie einen Schweif zieht die runde Koma eine Reihe roter Linien und ein Dutzend roter "Brocken" hinter sich her. Entspannend deutlich zielt die Flugbahn jetzt auf einen Einschlagort südlich von uns. Die Feuerkugel zerplatzt und verschwindet schlagartig, nur noch rote Linien und Brocken fliegen ein kurzes Stück weiter und verschwinden dann auch. Was für ein Teil. Ich muß mich hinsetzen. Sowas habe ich noch nie gesehen. Mein bislang hellster, grüne Bolide mit Trümmern im Schlepptau beim ITT 2000 war hundertmal schwächer. Uhrzeit: 22:21. Standort: Bei Schönberg/Schongau. Eine gute Minute später: Ein lauter Donnerschlag, und dann noch etliches, abnehmend lautes Donnergrollen.


Stefan Schuchhardt

Meine Beobachtung

Martin Birkmaier, Stefan Funk und ich waren am Abend des 6. 4. zum beobachten bei Schönberg ca. 10 km südöstlich Schongau. Der Platz bietet immer noch sehr gute astronomische Bedingungen. So waren z. B. mit 8" der nördliche Spiralarm von NGC 2903 oder der „Fleischerhaken" von M99 sichtbar. Störend sind von Garmisch kommende Autos, die etwa zwischen Unterammergau und Saulgrub genau in unsere Richtung leuchten.

Wir hatten mit den zur Verfügung stehenden Optiken (u. a. 20" f/4 und Fujinon Fernglas 25x150) den Kometen Ikeya-Zhang beobachtet und waren so am rumspechteln.

Ich hatte gerade im 8" Dobson den Planetarischen Nebel NGC 2022 im Orion eingestellt und saß mit dem Rücken Richtung Süden, als es plötzlich hell wurde. Sehr hell, von oben hinter mir leuchtend und subjektiv grün. Das ganze hat zwar nur wenige Sekunden gedauert, aber es schießen einem viele Gedanken durch den Kopf. Ein Teil meines Hirns hatte das grüne, von oben kommende und für einen kilometerweit entfernten Autoscheinwerfer viel zu helle Leuchten sofort einem Meteor zugeordnet, ein anderer Teil meines Hirns hat dagegen instinktiv vor Verlust der Dunkeladaption gewarnt und meine Augen geschlossen. Erst als ich die Rufe der Mitbeobachter hörte, habe ich mich rumgedreht und nach oben geguckt. Von der grellen Leuchterscheinung habe ich nicht mehr viel mitbekommen, aber immerhin noch die zahlreichen zerbröselnden Einzelteile gesehen. Es waren etwa ein dutzend Teile, von denen die schwächeren jeweils hinter den helleren zurückblieben und rot und scheinbar flächig verglühten. Unglaublich.

Nach einigen euphorischen Äußerungen fiel mir ein, daß man die Zeit bis zum Eintreffen des Donnerns ermitteln sollte und bat Stefan, mal auf die Uhr zu sehen. 22:21. Ich hatte eigentlich mit 6 bis 8 Minuten gerechnet, da ein Meteor ja bekanntlich in 100 km Höhe stattfindet. Es dauerte aber nicht lange, bis es zu Donnern anfing, wegen der allgemeinen Euphorie wage ich die verstrichene Zeit nur mit Unsicherheit anzugeben. Zunächst hatte ich auf 90 Sekunden getippt, möglicherweise war es doppelt so viel. Interessant war, daß das erste Donnern aus der Richtung vom Hemmungspunkt zu kommen schien und sich anschließend - leiser werdend - die Bahn rückwärts entlangbewegte. Gesamtzeit des Donnerns 30-60 Sekunden.

Ich habe leider nur einen kurzen Bahnbogen gesehen, etwa vom Hals des Löwen bis zum Kopf der Wasserschlange. Martin, der schon vorher hingesehen hatte, berichtete von einem grellen Leuchten, irgendwie weiß und bestimmt hundertmal heller als das -9 Meteor, das wir beide vor anderthalb Jahren in Kärnten gesehen hatten. Stefan war gerade am Auto Schuhe suchen und hat wie ich auch nur das letzte Stück gesehen...

Anschließend war es schwierig, wieder zum „normalen" Beobachten überzugehen. Ich habe immer wieder in die Richtung des Verlöschens geguckt, irgendwie in der Hoffnung, daß noch eine Zeitlupe kommt. Kam aber nichts.

Eine Rauchspur haben wir nicht gesehen. So hell, wie die Landschaft um uns war, hatte das Meteor sicher deutlich mehr als Vollmondhelligkeit. Hier muß man allerdings vorsichtig sein, da man sich dunkeladaptiert sicher sehr stark verschätzen kann.

Auswertung 08.04.2002

Von den Meldungen in Astronomie.de habe ich fünf verwendet, um eine zumindest grobe Bahn auszurechnen. Dazu habe ich die beobachteten Bahnen genommen und mit der Planetariumssoftware TheSky für jeweils zwei Punkte einen Azimut und eine Höhe rausbekommen. Der Azimuth wird von nord über ost gezählt, d. h. Ost hat den Azimut 90, Süd hat den Azimut 180 etc. Zunächst die Meldungen zusammengefaßt:

Stephan Psy, Schärding/Oberösterreich (südl. Passau)
Az 225 H 55 - Az 230 H 20

Uli, Bad Tölz
Az 110 H40 - PW 230 H 35
Geräusch

Thorsten Henke, Taubenberg ca. 10 km NW Miesbach
Az 170 H 50 - Az 210 H 30

Christian Schreiner, 15 km südlich Cham
Az 180 H 55 - Az 220 H 9

Stefan Schuchhardt, Schönberg ca. 10 km südöstlich Schongau
Az 180 H 65 - Az 200 H 40

Der erste der beiden Werte ist jeweils nicht der Beginn der Leuchtspur, da jeder zu einem anderen Zeitpunkt hingeguckt hat. Ich habe nur einen kurzen Bahnbogen gesehen. Der zweite der beiden Werte ist dagegen in allen Fällen der Hemmungspunkt, d. h. der Punkt, an dem die kosmische Geschwindigkeit aufgezehrt ist, das Leuchten verlöscht und eventuell vorhandene Trümmer unter dem Einfluß der Schwerkraft einfach nur noch runterfallen.

Keiner der Beobachter berichtet von einer Rauchspur. Ich habe im Geist die Bahn am Himmel zurückverfolgt, aber nichts entdecken können. Alle Beobachter berichten von intensiv grünem Licht. Uli und Thorsten Henke haben ein Donnern gehört; Thorsten Henke 30 sek früher als Uli, obwohl er offensichtlich weiter weg war! Das zeigt, daß Beobachtungsberichte mit großer Vorsicht zu behandeln sind. Die fehlende Rauchspur und das grüne Licht sprechen meines Erachtens für einen Eisenmeteoriten.

Ein Zusammenhang mit Ikeya-Zhang ist im Prinzip denkbar, da der Komet aber z. Z. mehrere Millionen km von der Erde entfernt steht, muß sich „unser" Brocken schon vor vielen Umläufen vom Kometen getrennt haben. Der mutmaßliche Eisenmeteorit macht dies aber unwahrscheinlich.

Horst Koch, Frank Leiter und Klaus Spruck (alle Astro AG Heuchelheim) waren beim beobachten im Vogelsberg. Wie Klaus mir am Telefon sagte, haben sie nur einen praktisch vollmondhellen Himmel wahrgenommen, das Meteor war für sie aber verdeckt. Luftlinie ca. 300 km!

Zur Bahn: Von den Leuten, die was gepostet haben, war ich offenbar derjenige, der am nächsten am Hemmungspunkt stand. Dafür spricht die relativ kurze Zeit bis zum Donnern, die größte Höhe des beobachteten Hemmungspunktes und die Tatsache, daß ich von den erwähnten Beobachtern am weitesten westlich stand und das Objekt von Osten kam. Stephan, Uli, Thorsten und ich saßen fast auf einer Linie, was für eine Bahnbestimmung nicht sonderlich hilfreich ist. Stephan hat das Meteor fast senkrecht nach unten fallen sehen, hat also fast senkrecht unter der Bahn gestanden. Uli, Thorsten und ich standen jeweils etwas nördlich der Bahn, da wir drei das Meteor jeweils von „links oben" nach „rechts unten" sahen.Der von Christian beobachtete Hemmungspunkt liegt fast genau in meine Richtung, ebenso paßt die Höhe von 9 Grad recht gut.

Wirft man das alles in einen Topf, kommt etwa folgendes raus: der Meteorid kam aus Azimut 60 Grad (Nordost zu Ost), die Bahn über Grund ging über Schärding-Chiemsee-Garmisch. Der Eintrittswinkel läßt sich nur aus Christians Beobachtung schätzen und beträgt ca. 50 Grad, womit eine Rakete oder Weltraumschrott etc. ausgeschlossen ist. Nebenbei fliegt praktisch alles in der Erdumlauf nach Osten, da beim Start der „Erdschwung" mitgenommen wird - unser Brocken flog aber umgekehrt.

Wenn man mal eine für einen Meteoriden geringe Eintrittsgeschwindigkeit von 20 km pro Sekunde nimmt und das Aufleuchten 120 km hoch stattfindet, kommt eine Gesamtzeit von fünf Sekunden raus. Paßt ganz gut mit den Beobachtungen, zumal Frühjahr UND Abend für Meteore denkbar ungünstige Zeiten sind, da der Erdapex tief steht und die Relativgeschwindigkeit gering sein muß. Mit den von Stephan, Uli, Thorsten und mir beobachteten Höhen des Hemmungspunktes, die übrigens alle gut zusammenpassen, lag dieser etwa im Dreieck Reutte-Garmisch-Landeck in einer Höhe von 30-40 km. Also weiter weg von meinem Standpunkt, als ich letzte Nacht vermutet hatte. Das von Raphael Bugie auf einer Karte eingezeichnete Gebiet liegt auf alle Fälle zu weit nördlich.

Schade, daß ich die Zeit bis zum Donnern nicht genau mitgezählt habe - so wäre die Position vom Hemmungspunkt in der Atmosphäre viel genauer bestimmbar. Offen ist die Frage, ob was übriggeblieben ist. Die Feuerkugel-Spezialisten können dazu sicher was sagen. Wenn ja, dann in den noch verhältnismäßig wenig erschlossenen Lechtaler Alpen irgendwo in unwegsamen Gelände. Viel Spaß beim Steichensuchen! Im Ernst: falls Trümmer in den Schnee gefallen sind, würden sie in den nächsten Wochen ausapern und es bestünde zumindest eine geringe Chance, was zu finden. Zur genauen Lokalisation bräuchte man Augenzeugenberichte aus der Gegend. Ich nehme an, daß es außer den Beobachtungen in Astronomie.de noch zahlreiche weitere gibt sowie Fotos vom Feuerkugelnetz. Bin mal gespannt, was die so ergeben und ob unsere Beobachtungen und meine Anmerkungen dazu wenigstens einigermaßen stimmen!

Nach nicht beobachteter SoFi, Polarlicht und Leoniden ist es ganz schön, ausnahmsweise mal in der ersten Reihe gesessen zu haben. Wenn ich nur früher hingesehen hätte...

Nachtrag 23. April 2002

Die wahre Bahn ist mittlerweile bekannt. Aus mehreren Aufnahmen vom Feuerkugeknetz ist rausgekommen, daß das Meteor etwa aus Azimut 120 Grad gekommen ist (etwa Ost-Südost) und nicht wie von mir angenommen aus Azimut 60 Grad. Das zeigt, wie man sich doch vertun kann, wenn man die Beobachtungen nur "so ungefähr" auswertet. Beim Eintrittswinkel von 50 Grad liege ich degegen eher zufällig nur wenige Zehntel Grad daneben: wahrer Wert 49,5. Die Eintrittsgeschwindigkeit war 20,9 km pro Sekunde, auch hier lag ich gar nicht schlecht. Bis zum Ende der Leuchterscheinung hatte der Brocken allerdings bis auf 4 km/sec abgebremst.

Die (wahrscheinlich) übriggebliebenen Trümmer liegen doch, wie zuerst von mir angenommen, in den Ammergauer Bergen und nicht in den Lechtaler Alpen.

Wünsche weiterhin klaren Himmel,

Stefan Schuchhardt, Astro AG Heuchelheim


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